Willkommen in der Zwischenzeit
Wenn man mitten im Umbruch ist, aber sich alles nach Stillstand anfühlt
Die folgenden Zeilen wollte ich eigentlich schon viel früher zu Tastatur bringen. Der letzte Artikel ist jetzt schließlich schon einen guten Monat her. Während ich aber über die Inhalte nachgedacht hatte, bekam ich ständig das Gefühl: Eigentlich passiert doch gerade gar nichts Berichtenswertes. Den April über habe ich viel gewartet. Auf Rückmeldungen zu Bewerbungen, Genehmigungen von Behörden, meinen Termin beim Bürgeramt für neue Ausweisdokumente. Aktuell habe ich nämlich keine, was mich dazu zwingt, die Push-Benachrichtigungen meines Skyscanner-Alerts zu ignorieren und mich damit abzufinden, die Füße still zu halten. Es nervt. Dazwischen geschlichen haben sich an einigen Tagen ebenso nervige Selbstzweifel, negative Gedankenspiralen und ungeduldige Frustration über die empfundene Stagnation.
Nicht selten kommt mich zudem ein flüchtiges aber hartnäckiges „Ach du Scheiße“ besuchen, wenn ich daran denke, was hinter mir in Schutt und Asche liegt. Als wäre eine Abrissbirne unbarmherzig durch mein Leben gefegt und hätte nicht viel vom „Vorher“ übrig gelassen. Aber: Inmitten all des Chaos sprießt so langsam erstes Grün aus dem Schutt. Zart und leise. Und das fühlt sich gut an.
Wo nichts ist, kann alles sein
Irgendwie dachte ich, die Entscheidung, mein Leben zu verändern, würde sich anders anfühlen. Klarer, aufregender – und vor allem dynamischer. Stattdessen sitze ich gerade in dieser Zwischenzeit fest: zwischen alt und neu, zwischen gestern und morgen, zwischen „Was zum Teufel war das denn?“ und „Wann geht’s endlich los?“. Außerdem habe ich momentan ziemlich viel Zeit. Klingt erstmal wie ein Privileg. Ist es auch. Aber wenn aus einigen freien Tagen irgendwann Wochen werden, schleicht sich früher oder später auch Leere ein. Mir fällt es schwerer als gedacht, meinen neuen Alltag zu organisieren. Ich muss neue Routinen finden, mich selbst motivieren, andere Prioritäten setzen. Ich würde gerne sagen, dass ich diese Phase souverän meistere. Aber um ehrlich zu sein, ist es gerade oft eher bäh statt yeah. Wenn ich in diese Stimmungslage rutsche, versuche ich mich bewusst zu einem Perspektivenwechsel zu zwingen. Und das tue ich dieses Mal, indem ich mich endlich an diesen Artikel setze.
Und während ich mir Stichpunkte in meinem Lieblingscafé mit Blick auf eine Gruppe älterer Damen mit Sonnenhüten vor mir notiere - die sich offensichtlich am Samstagnachmittag treffen, um gemeinsam zu stricken - fällt mir auf: Eigentlich ist doch ganz schön viel passiert. Die Seniorinnen vor mir haben sogar eigene Spinnräder mitgebracht, die sie vor sich aufgebaut haben. Und wie sie da so sitzen in der Sonne unter frischgrünen Apfelbäumen, hänge ich folgendem Gedanken nach: diesen Zustand von Frieden möchte ich eines Tages in meinem Leben erreichen.
Wenn man mal genauer hinschaut…
dann ist in der Zwischenzeit doch ganz schön viel passiert: Ich habe Ende März tatsächlich meine Wohnung gekündigt. Auf den allerletzten Drücker habe ich das Schreiben im chaotischen Arbeitszimmer meiner Eltern ausgedruckt und höchstpersönlich ins Büro meines Vermieters getragen. Per Post wäre es nicht mehr rechtzeitig angekommen. Das Gefühl, nur wenige Minuten später wieder auf der Straße zu stehen, der soeben vereinbarte Übergabetermin in meinem Kalender gespeichert, war echt verrückt. Das war der erste, große Meilenstein auf meiner Liste. An dieser Stelle eine kurze Musikempfehlung: „Alles neu“ von Peter Fox ist immer noch ziemlich geil. Lohnt sich, da mal wieder reinzuhören. Nur wenige Tage später haben sich potenzielle Nachmieter gemeldet. Auf eine kurze, spontane Besichtigung erfolgte direkt die Zusage. Und das Beste dabei: Sie werden mir einen Großteil meiner Möbel ablösen, sodass sie mir damit netterweise direkt ein weiteres To Do abhaken. Mit der Frist meines Auszugs, die nun kontinuierlich näher rückt, steht nun aber auch folgendes an: Ich muss eine neue Bleibe finden. Und da stellte sich natürlich die Frage: „Wohin soll’s denn gehen?“
In der letzten Zeit habe ich oft darüber nachgedacht, wo ich mich denn in den nächsten Jahren aufhalten möchte. Aus anfänglichen Ideen wurde eine Sammlung, dann eine Eingrenzung und nun schlussendlich eine erste Entscheidung: Den Sommer über werde ich in Dresden verbringen! Warum ausgerechnet Dresden? Zum einen habe ich noch nie in einer deutschen Großstadt gelebt, und diese Erfahrung möchte ich irgendwie mal machen. Der zweite (und viel wichtigere Grund) ist aber: Meine beste Freundin wohnt dort seit einigen Jahren. Die geografische Distanz hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass wir nur wenig Zeit miteinander verbringen konnten. Das möchte ich nun ändern, und von Juli bis September die Neustadt kennenlernen, mit ihr an der Elbe spazieren gehen, gemeinsam durch Bars streifen, Open-Airs besuchen und zusammen Erinnerungen schaffen. Denn wenn mir eines im vergangen halben Jahr wieder so richtig zu schätzen gelernt habe, dann ist es mein inner circle, bestehend aus engen Freunden & Familie.
Aus diesem Grund habe ich den April auch dazu genutzt, um meine Oma in Frankfurt zu besuchen, ein wildes Wochenende mit meinem Bruder in Köln zu erleben und Zeit mit der Familie im Allgäu zu verbringen. Außerdem habe ich noch weitere Dinge auf den Weg gebracht:
Ich habe mein altes Ebay Kleinanzeigen Konto zurückerobert (das wurde leider vor zwei Jahren gekapert, ich musste damals sogar Anzeige erstatten).
Außerdem habe ich meinem Auto einen Frühjahrsputz verpasst und es im Anschluss verkauft.
Ich habe mich um meine Gesundheit gekümmert: Meine Ernährung umgestellt und Sport zu einer hohen Priorität meines Alltags gemacht.
Und ich habe endlich einen Termin für einen kleinen Eingriff vereinbart, vor dem ich mich seit Jahren drücke.
Ich habe ein Coaching begonnen – mit einem tollen Menschen, von und mit dem ich lernen darf.
Und ich habe ein Ehrenamt bei einer Organisation begonnen, die sich für Frauenhilfe und Opferschutz einsetzt.
Eigentlich ziemlich viele good news, oder? Und das ist mir erst so richtig bewusst geworden, als ich detailliert Revue passieren hab lassen, wovon ich denn hier so aus den letzten Wochen erzählen könnte.
Warum fällt es so schwer, uns das Positive vor Augen zu führen?
Die Psychologie hat dafür einen Begriff: Negativity Bias. Unser Gehirn ist darauf ausgelegt, Negatives schneller und intensiver wahrzunehmen als Positives. Ein Überbleibsel aus der Urzeit, als es überlebenswichtig war, potenzielle Gefahren blitzschnell zu erkennen. Damals war es sinnvoll, eher auf das Rascheln im Gebüsch als auf den Sonnenuntergang zu achten. Heute ist dieser Mechanismus eher hinderlich und sorgt dafür, dass Frust, Zweifel und Unsicherheit oft viel hartnäckiger in uns nachhallen als kleine Fortschritte oder schöne Momente. Dazu kommt der sogenannte Zeigarnik-Effekt: Das Gedächtnis merkt sich unerledigte Aufgaben und offene Baustellen besser als das, was wir bereits geschafft haben. Das ist ja auch abgehakt – also raus damit, um Kapazitäten freizumachen. Klingt effizient, ist aber auch ein Grund, warum wir uns häufig eher gestresst als stolz fühlen. Die Folgen? Unser innerer Blick ist verzerrt. Wir übersehen Erfolge, unterschätzen Fortschritte und vergessen oft, wie weit wir eigentlich schon gekommen sind.
Aber – und das ist die gute Nachricht: Wir können trainieren, umzudenken. Indem wir uns bewusst Zeit nehmen, innezuhalten und hinzuschauen. Uns Fragen stellen wie: „Was ist mir gelungen? Was hat gut getan? Worüber habe ich mich gefreut? Es geht nicht darum, alles schönzureden. Aber darum, das Schöne nicht zu übersehen. Auch wenn es nur eine kleine Errungenschaft war. Gerade dann.
Ich bin nicht mehr da, wo ich war – und das zählt
Während es mir also die letzten Wochen so vorkam, als würde nichts wirklich vorangehen, ändert sich in Wahrheit gerade alles. Der Satz „Ich verändere mein Leben“ klingt riesig. Fast einschüchternd. Irgendwie auch zu hypothetisch. Aber: Er formuliert eigentlich nur eine einzige Entscheidung.
Wenn mich Menschen fragen, was ich gerade mache, sage ich oft: „Ach, ich sortiere mich gerade.“ Etwas unangenehm ist es mir manchmal. Klingt irgendwie ein bisschen lost. Aber das stimmt nicht ganz. Fakt ist: Ich habe mich bereits neu ausgerichtet. In genau dem Moment, in dem ich entschieden habe, etwas zu verändern.
Und das kannst du auch.
Ah, und bevor ich‘s vergesse:
Ich habe vor kurzem meine Weiterbildung zur psychologischen Beraterin gestartet! Die ersten Einführungsveranstaltungen liegen schon hinter mir. Hat sich ein bisschen nach Erstiwoche angefühlt, nur (leider) ohne Pub Crawl. Dafür wie eben eines dieser zarten Pflänzchen, die zwischen den Trümmern sprießen. Auch wenn drum herum noch einiges aufgeräumt werden muss.
Warum eigentlich genau diese Weiterbildung? Was reizt mich an der Psychologie? Und was macht eigentlich ein psychologischer Berater? Das erzähle ich dir im nächsten Artikel.
Wenn dich visuelle Einblicke in meinen aktuellen Alltag interessieren, folg mir gern auf Instagram. Ich werde eine Menge Krams in den nächsten Wochen verkaufen, vielleicht ist ja was dabei für dich. Wir sehen uns jedenfalls dort. In der Zwischenzeit.