Genug von Arschwetter & Augenringen
Warum ich mich für ein Leben als digitale Nomadin entscheide
Manche Menschen gelangen im Laufe ihres Lebens an einen ganz speziellen Punkt in ihrem Alltag. Vielleicht passiert es beim Wäsche aufhängen, im Stau auf dem mittleren Ring, oder sonntags nachmittags auf der Couch. Plötzlich schießt da diese Frage in die Gedankenwelt: "War das jetzt alles? Bleibt das jetzt so?" Man erschreckt sich, hält inne. Und versucht sich im nächsten Moment darauf zu besinnen: „Eigentlich ist doch alles ganz in Ordnung.“ Man sollte dankbar sein, stolz auf das Erreichte, zufrieden mit dem bisherigen Weg. Kein Leben verläuft immer geradlinig, nicht jede Phase ist leicht und unbeschwert. Der Alltagstrott gehört doch irgendwie dazu. Oder? Meine persönliche Szenerie, als mich dieser Gedanke kalt erwischte, sah folgendermaßen aus: An einem verregneten Montagmorgen saß ich mit der dritten Tasse Kaffee in der Hand an meinem Schreibtisch, starrte auf den Desktop vor mir und fühlte... nichts. Jedenfalls nichts Gutes. Eher eine Mischung aus Trägheit, Frustration und dem überwältigenden Drang, einfach alles, was ich mir bis zu diesem Moment aufgebaut hat, mit sofortiger Wirkung hinzuschmeißen.
Nur wenige Monate zuvor trat ich einen neuen Job als Führungskraft in einem mittelständischen Unternehmen mit großem Wachstumspotenzial an. Der optimale nächste Schritt auf der Karriereleiter. Eine Chance, auf den andere womöglich viele Jahre lang hart hinarbeiten. Ich habe erst vor wenigen Jahren mein Masterstudium abgeschlossen, sollte also eigentlich euphorisch, übermotiviert und wahnsinnig stolz sein. Das war ich auch zeitweise, versteh mich bitte nicht falsch. Mir ist vollkommen bewusst, in welch privilegierten Umständen ich mich zu diesem Zeitpunkt befand und für welche ich aufrichtige Dankbarkeit empfinde. Aber die innere Wahrheit sah anders aus: Ich war nicht euphorisch. Statt motiviert und energetisch, fühle ich mich erschlagen von Routine, Selbstzweifeln und fehlender Sinnhaftigkeit. Dazu kam, dass die kalten Monate vor dem Fenster mich mit ihrer dunkelgrauen Tristesse in eine regelrechte Winterdepression zogen. Zudem schleppte ich zu diesem Zeitpunkt tonnenschwere Sorgen vor einem potenziell anstehenden Rechtsstreit mit mir herum.
2024 in a nutshell
Meine ersten Berufsjahre steckte ich mit Leidenschaft und Hingabe in die Kreativbranche. Alles schien perfekt: spannende Projekte, Kollegen, die zu Freunden wurden, zunehmende Verantwortung, und ich mittendrin – voller Motivation. Doch mit der Zeit zeigte sich eine andere Realität. Sie brachte mich an meine Grenzen – mental wie emotional. Nach langem Ringen legte ich meine Kündigung auf den Tisch. Ich informierte die Geschäftsführung über meine Entscheidung, ohne eine neue Stelle in Aussicht zu haben. Einfach raus. Einfach weg. Scheiß auf das Risiko, irgendwie wird’s schon gut gehen.
Ein paar Wochen später wurde ich auf eine vielversprechende Perspektive aus dem beruflichen Netzwerk aufmerksam. Ich wägte ab, stellte mich vor, verhandelte, und unterschrieb schließlich. Es fühlte sich richtig und logisch an. Doch bevor ich den neuen Job antrat, nahm ich mir eine sechswöchige Auszeit. Ich brauchte Abstand nach der schmerzhaften beruflichen Trennung und wollte mich mit Dingen beschäftigen, die mich glücklich machen und meiner mentalen Gesundheit guttun. In dieser Zeit fand ich innere Stärke im Kraftsport, verbrachte entspannte Stunden auf dem Balkon, setze mich ans Klavier, reiste mit meiner Familie ans Meer, erkundete Seoul und schrieb an einem Buchprojekt auf Ibiza. Es waren Wochen, in denen ich mich langsam wieder lebendiger, inspirierter und zuversichtlicher fühlte.
Den Jahreswechsel verbrachte ich mit 40 Grad Fieber im Bett. Das Feuerwerk schaute ich mir allein durchs Küchenfenster an. Als ich da so stand und die Lichter beobachtete, fragte ich mich, welche Momente im vergangenen Jahr mich wirklich glücklich gemacht hatten. Fast alle, die mir in den Kopf schossen, lagen ausschließlich in dieser Zeitspanne zwischen dem Jobwechsel. Und das machte mich nachdenklich. Warum empfand ich nur echte Erfüllung außerhalb meines Alltags? Warum bedeutete mein daily business eher das Gegenteil davon? Vielleicht war es das erste leise Zeichen, dass ich eine grundlegende Veränderung einleiten sollte.
Zwischen Ausbrennen und Aufbrechen
Ein kurzer Rückblick: Meine 20er verliefen bisher durchgängig auf der linken Spur. Die akademische Ausbildung absolvierte ich mit Bestnoten in Mindeststudienzeit. Parallel startete ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Freelancer im Copywriting, machte ein Trainee-Programm in einer Unternehmensberatung, und wechselte anschließend in die kreative Dienstleistung. Tagsüber arbeitete ich mir den Arsch ab, nachts schrieb ich an meiner Masterarbeit. Als ich sie schließlich mit einer glatten 1,0 zurückbekam, war ich unfassbar stolz – aber auch vollkommen fertig. Ich hatte mich jahrelang selbst angetrieben, immer weiter, immer schneller.
Die beschriebe Pause, die ich vergangenes Jahr zwischen dem Jobwechsel nahm, sollte auch eine nachträgliche Belohnung für die vorherigen Meilensteine sein, die ich verbissen abhakte, um möglichst zügig voranzukommen. Nach meiner Rückkehr aus dem Ausland trat ich die neue Position mit Zuversicht an. Bereit, wieder Vollgas zu geben. Doch völlig unerwartet holte mich die Vergangenheit schneller ein, als ich rennen konnte. Ich wurde erneut mit den Ereignissen, die ich während der Auszeit so unbedingt hinter mir lassen wollte, konfrontiert. Long story short: Die letzten Monate schleppte ich mich von Wochenende zu Wochenende, verfluchte den grauen Winter (wie jedes Jahr) und fragte mich, warum zum Teufel erneut alles um mich herum zusammenbrach.
Und plötzlich war ich wieder an demselben Punkt, wie lediglich ein halbes Jahr zuvor. Dieselben Zweifel, die mich schon einmal gequält hatten, suchten mich heim. Wie soll es weitergehen? Erneut die Branche wechseln? Oder direkt in eine andere Stadt ziehen? Je angestrengter ich grübelte, desto unentschlossener wurde ich. Bis mir eines klar wurde: Vielleicht ist die beste Entscheidung, sich vorerst nicht zu entscheiden.
Aus einer Sackgasse führt nicht nur der Rückwärtsgang
Die Idee eines ortsunabhängigen Lebens keimte in den letzten Wochen langsam, aber stetig. Warum nicht den Status quo hinter mir lassen und mich auf ein Abenteuer einlassen? Wie traumhaft wäre es, alle paar Monate meinen Standort zu wechseln, neue Menschen zu treffen, in einem inspirierenden Co-Working Space zu arbeiten und endlich im Herbst durch Edinburgh zu schlendern? Warum weiter in einem Lebensstil verharren, der mich offensichtlich nicht glücklich macht? Ich halte mich für rational genug, um das Leben als digitaler Nomade nicht zu romantisieren: Es wird Einsamkeit geben. Ich muss raus aus meiner Komfortzone und meinen Lebensstandard zurückschrauben. Aber all das fühlt sich weniger beängstigend an als die Vorstellung, einfach so weiterzumachen wie bisher.
Und so begann ich in den letzten Wochen, Pläne zu schmieden. Ich kalkulierte meine Ausgaben und Ersparnisse, sprach mit Familie und engen Freunden, informierte mich über internationale Krankenversicherungen, Steuern und Remote-Arbeitsmöglichkeiten. Ich aktivierte mein Netzwerk, verschickte erste Bewerbungen und fing an, die Weichen zu stellen.
Nun haben wir Anfang April 2025. Und dies ist mein erster Blogartikel auf dem Weg ins nächste Lebenskapitel.
Ich möchte dich einladen, mich durch die nächsten Monate in diesem Blog zu begleiten. Aktuell sieht meine Planung vor, innerhalb der nächsten Wochen auf einen Remote Job umzusteigen und meine Wohnung zu kündigen. Im Anschluss habe ich dann drei Monate lang Zeit, um meinen Hausstand aufzulösen, mein Auto zu verkaufen, mich zu verabschieden und eine temporäre Bleibe an meiner ersten Destination zu finden.
Vielleicht liest du das hier und kennst dieses Gefühl der inneren Leere, der Orientierungslosigkeit. Vielleicht bist du auch an einem Punkt, an dem du dich fragst, ob es das nun gewesen sein soll. Wenn ja, dann lass uns connecten! Ich habe tausend Fragen, suche Austausch mit anderen digitalen Nomaden und bin gespannt auf Erfahrungen und Tipps.
Also, wenn du jemanden kennst, der jemanden kennt – oder selbst etwas teilen möchtest – schreib mir gern in die Kommentare!